RHEIN ZEITUNG II NEUWIED || INTERVIEW MIT ALI ZÜLFIKAR || VON LIESELOTTE SAUER- KAULBACH

RHEIN ZEITUNG II NEUWIED || INTERVIEW MIT ALI ZÜLFIKAR || VON LIESELOTTE SAUER- KAULBACH
Neuwied, 8. Dezember 2021, 9:48 Uhr
 
 
Künstler stellt verunstaltetes Greta-Porträt in Neuwied aus: Interview mit Ali Zülfikar
Der Künstler Ali Zülkifar zeigt In der Jahrskunstausstellung im Neuwieder Roentgen-Museum ein Portät der Umweltaktivistin Greta Thunberg – inklusive der Schmierereien, die Unbekannte auf dem Werk hinterlassen haben. Die RZ sprach mit dem Künstler über seine Arbeit und darüber, was die Verunstaltung für ihn bedeutet.
 
 
 
Mit dem Porträt wollte der Künstler ursprünglich die Aktivistin Greta Thunberg unterstützen. Mit den Schmierereien ist es für Ali Zülfikar nun ein Werk, das die „historische Realität widerspiegelt“.
Foto: Ali Zülfikar
 
 
Großformatige, gezeichnete Porträts sind sein Markenzeichen. Das Porträt der Umweltaktivistin Greta Thunberg zeigte Ali Zülfikar, 1970 in der Türkei geboren und in Köln lebend, auch in Karlsruhe bei der Aktion „Kunst an der Plakatwand“.
 
Unbekannte Täter pinselten der Dargestellten zuerst mit weißer Farbe eine Maske ins Gesicht und schrieben in großen Buchstaben „Heil Maske“ darüber. Mit schwarzer Farbe fügte ein anderer noch ein „G“, ein Komma und auch noch ein Ausrufezeichen hinzu. Das Ergebnis: „Geil, Maske“. Zu sehen ist die Arbeit inklusive der Schmierereien bis zum 2. Februar in der Jahreskunstausstellung im Neuwieder Roentgen Museum.
 

Herr Zülfikar, Sie haben sich ja vor allem auf großformatige Porträts konzentriert. Nach welchen Kriterien wählen Sie die Dargestellten aus? Was ist für Sie beim Porträtieren besonders wichtig?

Ich habe als Kriterium zuerst ausgesprochen markante Gesichter gewählt. Diese stelle ich äußerst detailgetreu dar. Der wichtigste Aspekt bei der Auswahl war und ist für mich der Ausdruck, der in diesen Gesichtern steckt und der tiefe emotionale Präsenz vermittelt. Natürliche und insbesondere ältere Menschen haben das, und davon lasse ich mich inspirieren. Das, was sie in ihrem Leben erlebt haben, steht ihnen ins Gesicht geschrieben. Liebe, Trauer, Freude, Leid, Glück oder Zorn. Gesichter sind für mich wie Landkarten. Bei jungen Menschen ist der Arbeitsvorgang etwas anders. Das liegt daran, dass junge Leute noch nicht viele Falten im Gesicht haben, hier arbeite ich mit Lichteffekten, damit ich später die Kontraste Schritt für Schritt besser herausarbeiten kann. Was beim Porträtieren besonders wichtig ist? Die Seele, das Leben eines Menschen zu verstehen, zu erarbeiten und sichtbar zu machen.

Weshalb haben Sie sich gerade auch für Greta Thunberg entschieden?

Mein größter Faktor für Gretas Porträt ist die schnelle Veränderung der Klimabilanzen in der Welt, in der wir leben, aufgrund der Naturzerstörung. Die Person, die am effektivsten auf die Umweltverschmutzung aufmerksam gemacht und das Thema auf die politische Agenda gehoben hat, war Greta. Das hat mich beeindruckt, deshalb wählte ich für mein großformatiges Kunstwerk im öffentlichen Raum Greta. Einerseits um das Thema und andererseits um ihre Aktivitäten gegen die Zerstörung der Natur zu unterstützen. Ihre Aktivitäten waren aufgrund der Pandemie ja nur eingeschränkt möglich. Gestalterisch benutzte ich das Bild einer verbrannten Struktur der Erde in Magenta. Ich habe natürliche Materialien wie Holz, Bleistift, Pigmente, Holzkohle und so weiter verwendet und unterstrich das harmonische Zusammenspiel von Kunst und Natur als geografischen Raum, der als Grundlage für das Kunstwerk dient.

Offensichtlich hat ja gerade diese Arbeit eine öffentliche Reaktion ausgelöst. Wie denken Sie darüber über die aufgeschmierte Maske und den verbalen Kommentar?

Es ist kein gewöhnliches Ereignis, es ist sehr klar und deutlich, dass der extremistische oder politische Anschlag eine Botschaft hat. Dieser Angriff ist ein krimineller Akt. Es ist Vandalismus, was mit Meinungsfreiheit nichts zu tun hat. Der Angriff fand anonym statt, sodass es keine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Leuten geben kann. Heckenschützenmentalität. Ehrlich gesagt, verbindet dieser Akt zwei Probleme. Ein Problem, was Deutschland hat, und ein Problem, was ich jetzt mit dem Schaden an meinem Kunstwerk habe. Er kombiniert die Klimakrise und die Corona-Krise und wie die Menschen damit umgehen. Sie sind aggressiv und leugnen. Die Menschen wollen das Kunstwerk und den Künstler für ihre politischen Interessen nutzen, ohne die Kunst und den Menschen zu respektieren. Sie wollen sich nicht auseinandersetzen, nur zerstören. Die Angriffe auf mein Kunstwerk sind keine Premiere in Deutschland. Das gab es alles schon. Aus diesem Grund habe ich dieses Ereignis, das durch gesellschaftliche Reaktionen ausgelöst wurde, zusammen mit dem Endzustand meiner Arbeit akzeptiert. Ich werde keine Änderungen an meinem Kunstwerk vornehmen und werde es so lassen, weil mein Kunstwerk nun eine historische Realität widerspiegelt, die Licht auf die Kunstgeschichte Deutschlands wirft.

Inwieweit soll sich Kunst Ihrer Meinung nach mit tagesaktuellen Themen auseinandersetzen?

Kunst ist lebendig, in Bewegung. Das zeigt sich mit ihrer Aktualität und Attraktivität. Wenn der Künstler sich beschränkt, wenn er nicht frei ist, verliert er seinen Charme. Natürlich kann sich die Kunst mit aktuellen Themen ebenso wie mit unsichtbaren Themen beschäftigen. Der Künstler sollte mit den Problemen umgehen, die andere nicht mit ihrer eigenen intuitiven Kraft sehen können, aber er ist kein Politiker. Es übernimmt keine bestimmte Mission. Er kann jedoch interpretieren, was er sieht, indem er seine Intuition und Gefühle hinzufügt. Vielleicht hilft das beim Einordnen oder ist meinungsbildend. Die Kunst ist für mich eine Sprache, um die Seele des Menschen sichtbar zu machen, um unsere Gesellschaft wach zu halten. Die Kunst schafft eine neue Dimension der Kommunikation. Für mich ist künstlerisches Schaffen in einer besonderen Weise ein Raum der Freiheit.

Die Fragen stellte Lieselotte Sauer-Kaulbach

 
https://www.rhein-zeitung.de/region/aus-den-lokalredaktionen/kreis-neuwied_artikel,-kuenstler-stellt-verunstaltetes-gretaportraet-in-neuwied-aus-interview-mit-ali-zuelfikar-_arid,2345464.html
 
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