Zensur – eine Ausstellung mit Folgen

ZENSUR - eine Ausstellung mit Folgen
7. November 2018
Von Brigitte Grawe
 
So direkt wie neulich in Linz war ich bisher noch nie mit Zensur in der bildenden Kunst konfrontiert. Davon zu berichten ist mir sehr, sehr wichtig …

Seit einiger Zeit bin ich Mitglied im Kunstverein „KLIO – zeitgenössische und historische Kunst Linz am Rhein e.V.“. Am 04. November 2018 sollte die Auftaktausstellung aller beteiligten Künstler in der Linzer Stadthalle stattfinden. Bepackt mit meinen Bildern machte ich mich auf den Weg nach Linz. Voller Vorfreude und Tatendrang betrat ich die Halle. Doch die Neuigkeiten die ich dort erfuhr, machten mich sprachlos. Unsere Ausstellung war von Zensur bedroht, von Polizeischutz zur Eröffnung war die Rede. Wo ist die versteckte Kamera, hätte ich beinahe gefragt.


Künstler Ali Zülfikar- Foto Heinz Werner Lamberz


Doch leider war diese absurde Nachricht bitterer Ernst.

Betroffener dieser unfassbaren Maßnahme ist Ali Zülfikar; ein in der Türkei geborener, heute in Köln lebender, renommierter Künstler. Sein Bild „MADE IN TURKEY“ war zuvor durch die deutsche Presse gegangen und hatte so auch Aufmerksamkeit in der Türkei erregt. Und dort war man mit der kritischen, karikierten Darstellung Erdogans wohl ganz und gar nicht einverstanden.

 

Das türkische Konsulat beschwerte sich prompt beim Bürgermeister

der Stadt Linz und protestierte gegen die Ausstellung des Bildes.

Herr Dr. Faust suchte direkt das Gespräch mit Frau Dr. Steger, der Gründerin und ersten Vorsitzenden des Vereins sowie Ali Zülfikar. In der Folge entschied er als Veranstalter der Ausstellung, dass das Bild nicht gezeigt werden dürfe – zumindest nicht zur Eröffnung. Ein Grund dafür war u.a. wohl auch etwas Sorge um die Sicherheit.

Diese Zensur durch die Türkei, ausgeführt vom Bürgermeister, machte uns Künstler allesamt sprachlos und wütend. Aus Solidarität verbreiteten wir das Geschehen samt Bild noch am Abend per Facebook. Das Interesse war groß, und so erhielt Alis Kunstwerk viel Aufmerksamkeit. Weit weniger Interesse hätte es wohl erregt, wenn es unzensiert hätte ausgestellt werden dürfen. Diese Entwicklung empfand ich als ausgleichende, sich verselbständigende Gerechtigkeit.

Nichts macht neugieriger als ein Verbot, und nun wollten ‚Es‘ alle sehen. Auch die Meinungen dazu waren bis auf einige wenige Ausnahmen einhellig. Zensur auf Druck der Türkei in unserem Land? Geht gar nicht!!!! Ali war tief verletzt und wütend – zu Recht. Schließlich sind Meinungs- und Kunstfreiheit ein deutsches Grundrecht und durch das Grundgesetz, Artikel 5 und Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützt.

Eingriffe sind ohne verfassungsrechtliche Rechtfertigung nicht erlaubt.

Ali traf eine kluge Entscheidung. Er hängte die Leinwand mit dem Bildnis zur Wand und versah sie mit dem Untertitel „ZENSIERT VON DER STADT LINZ“. 

 

Tja, und so kam der Tag der Vernissage. Der Andrang war groß, die Halle füllte sich zu unserer Freude auf beiden Etagen schnell mit Besuchern. Pressevertreter dreier regionaler Zeitungen waren ebenfalls anwesend. In ihrer offiziellen Ansprache fand die Gründerin und erste Vorsitzende unseres Vereins Frau Dr. Steger dann sehr deutliche und vor allem mahnende Worte zur Zensur des Bildes.

Ihre Ansprache möchte ich hier gerne zitieren:

„Erst vor einigen Tagen hat Ali Zülfikar das Erdogan-kritische Bild mit dem Titel „Made in Turkey“ fertiggestellt und mir ein Foto geschickt und ich habe als Kuratorin sofort zugesagt, es hier auszustellen. Es hat mich dann kalt erwischt, dass dieses Bild auf Druck des türkischen Generalkonsulats vom Veranstalter, d. h. der Stadt Linz zensiert wurde und nun im umgedrehten Zustand hier ausgestellt ist.
Grundsätzlich ist es zutiefst erschreckend, was in den letzten Jahren in einem demokratischen Land wie dem unseren bzgl. der Kunst- und der Meinungsfreiheit im Allgemeinen vorgeht.

Es ist ein schleichender heimtückischer Prozess der von offener Zensur bis zur Selbstzensur reicht. Da wird ein Konzert abgesagt, weil man einen Neonazi-Aufmarsch befürchtet, Aktmalerei wird in Museen abgehängt, weil es die Befindlichkeiten von Feministinnen tangiert, Skulpturen verhängt, weil ein arabischer Staatsmann auf Besuch kommt und eine Partei wie die AFD will in den Spielplan eines Theaters eingreifen… Das sind keine Strohfeuer, sondern beunruhigende Brandherde, die sich sehr schnell zu einem Flächenbrand entwickeln können.

Und deshalb müssen nicht nur wir Künstler, die für unsere Freiheit an vorderster Front kämpfen, sondern auch alle demokratischen Kräfte, sei es ein Veranstalter oder die Politiker zusammenstehen und den Mut und die Kraft aufbringen, diesem fürchterlichen Trend entgegenzuwirken. Es kann nicht angehen, dass ein Anruf aus dem Generalkonsulat dazu führt, dass in diesem Land Bilder zensiert werden. Wir müssen uns alle warm anziehen, die Zeiten werden unbequemer, auch in beschaulichen Linz. Aber wenn wir jetzt nicht gemeinsam unsere, durch das Grundgesetz garantierte Freiheit mit allen Mitteln verteidigen, dann wird von dieser bald Nichts mehr übrig sein.“

Als ich mich später unter die Besucher mischte, konnte ich deutlich heraushören,

dass auch sie diese Meinung teilten. Und so kam, was kommen musste …

 

 

Ich kann es leider nur vom Hörensagen wiedergeben. Ali, auf der oberen Etage ausstellend, wurde von Besuchern gebeten und ermutigt, das Bild trotz Zensur zu zeigen. Eine Besucherin drehte es schließlich um. Ein Eklat für den anwesenden Bürgermeister! Doch Ali bekam von anderen Künstlern und Besuchern Beistand. Das Ende vom Ganzen; der Bürgermeister verwies alle Beteiligten des Raumes.

Leider habe ich das nicht mitbekommen. Als ich davon erfuhr und nach oben eilte, war alles bereits gelaufen. Die Situation die ich vorfand, hat mich erschüttert. Ein erschöpfter, zutiefst verletzter und zu Recht wütender Ali saß, umringt von seinen Mitstreitern da und rang sichtlich um Fassung. Und ich muss sagen, erst da habe ich das ganze Ausmaß erfasst. Mir war zuvor bereits klar, dass Zensur grundsätzlich nicht sein darf und gegen Grundrechte verstößt.

Doch was es mit einem betroffenen Künstler,

bzw. Menschen macht, war mir so nicht bewusst.

Es hat mich wachgerüttelt. Wir alle – nicht nur Künstler – sind gefordert für das Recht auf Meinungs- und Kunstfreiheit einzustehen. Liest man den Artikel 5 des am stärksten geschützten deutschen Grundrecht scheint alles schwarz auf weiß geregelt. Übrigens können sich auch Verleger, Galeristen usw. darauf berufen.



Deutsches Grundrecht, Artikel 5

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.
(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

Diese Rechte sind in Deutschland sogar älter als das Grundgesetz und bereits in der Weimarer Reichsverfassung festgelegt.  Artikel 142 lautet: „Die Kunst, die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei. Der Staat gewährt ihnen Schutz und nimmt an ihrer Pflege teil.“  Artikel 118 garantierte die Meinungsfreiheit: „Jeder Deutsche hat das Recht, innerhalb der Schranken der allgemeinen Gesetze seine Meinung durch Wort, Schrift, Druck, Bild oder in sonstiger Weise frei zu äußern.“

Und doch gab und gibt es Zensur.

Deutschland erlebte mit dem Nationalsozialismus Bücherverbrennung und ‚entartete‘ Kunst. Heute ist die Meinungsäußerungsfreiheit eines der wichtigsten Grundrechte Deutschlands. Doch selbstverständlich ist das nicht! Der Rechtsruck vieler Länder wider besseres Wissen entsetzt und rüttelt auf. Wir sehen im einst so scheinbar liberalen, freien Europa wie schnell unterdrückende Staaten entstehen. Es heißt also wachsam zu sein.

Wichtiger denn je sind auch bei uns Erhalt und

Einhaltung des Artikels 5 der Grundrechte.

Dafür sollten wir kämpfen. Viel zu oft kommen Proteste aus institutionellen Machtpositionen heraus, wie erst kürzlich in einem ähnlichen Fall wie bei Ali Zülfikar. Es ging um eine Arbeit von Thomas Baumgärtel. Auch hier drängte das türkische Konsulat massiv, ein Werk abzuhängen. Es gab außerdem Drohungen gegen die ausstellende Galerie bis hin zu Morddrohungen gegen den Künstler selber. Tatsächlich war zuvor die Karlsruher Kunstmesse unter diesem Druck eingeknickt und hatte das Werk nach 2 Tagen abgehängt. Das darf nicht sein!!!

Doch auch aus niemals vermuteten Ecken kommt in unserem Land Zensur. Ein angeblich sexistisches Gedicht auf der Fassade einer Berliner Hochschule sollte übermalt werden. Umso unfassbarer, als doch gerade Hochschulen selber Nutznießer von Kunst- und Wissenschaftsfreiheit sind. Ich könnte noch viele weitere Fälle von Zensur aufführen, doch das würde den Rahmen meines Beitrags sprengen.

Weltweit leben nur rund 148 Millionen Menschen mit den Errungenschaften offener Zivilgesellschaften.

Besonders bedrohlich versuchen aktuell in ganz Europa politische Kräfte ihr gefährlich dummes Spiel zu treiben. Der Rechtsruck hat auch unser Land leider eingeholt. Und prompt versucht die Afd  systematisch unsere Kunst- und damit auch Meinungsfreiheit anzugreifen. Man denke nur an den Vorfall um die Errichtung einer Nachbildung des Berliner Holocaust-Mahnmals in Sichtweite der Wohnung des AfD-Politikers Björn Höcke.

Die Partei stellte sofort eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung, um u.a. zu klären, ob das eine Überschreitung der Kunstfreiheit sei. Wie bitte? Und das ist nicht das Ende der Fahnenstange. Erst im Juli war in einem Artikel der Zeit u.a. folgendes zu lesen:

„So will die Partei die „Entsiffung des Kulturbetriebs in Angriff nehmen“ und „linksliberalen Vielfaltsideologien“ die öffentliche Förderung streichen. Auch will sie „aktuelle Verengung der deutschen Erinnerungskultur auf die Zeit des Nationalsozialismus“ aufbrechen. Unterstützt werden sollen Kunst und Kultur nur noch dann, wenn sie sich „Volk und Nation“ verschrieben.“

Länder wie Polen, Ungarn und inzwischen auch Österreich

agieren in Europa bereits in dieser Weise.

Wenn man sich dazu einmal genauer informiert, kann man es nicht glauben. Leben wir wirklich im Europa des 21. Jahrhundert? Meinungsfreiheit ist definitiv ein wahrhaft kostbares Recht des Menschen. Wir sollten schützend unsere Hände darüber halten und klug dagegenwirken, ehe es zu spät ist. D.h., auf Vorfälle wie aktuell bei unserer Ausstellung in Linz am Rhein zu reagieren!

Auch ich habe daraus meine Lehre gezogen. Sollte ich als Mitausstellerin noch einmal eine solche Zensur erleben, werde ich meine Kunst aus Solidarität dann auch nicht mehr ausstellen.

Im Falle Ali Zülfikars hat sich inzwischen alles zum Guten gewendet. Der Bürgermeister hat heftige Kritik einstecken müssen und umgedacht. Die vielen Gegenstimmen und -meinungen, die ihm zur Vernissage entgegenschlugen, haben ihn eines Besseren belehrt. Er hat eingesehen, dass diese Zensur ein großer Fehler war und sich noch in der Nacht nach der Veranstaltung bei dem Künstler persönlich und später auch offiziell entschuldigt. Das Bild ist ab sofort für die Dauer der Ausstellung zu sehen.

So hat das Bild mittlerweile eine immense Aufmerksamkeit bekommen.

Der vom Künstler gewünschte Diskurs um die Thematik seines Kunstwerkes bekommt nun eine Dimension, die es ohne Zensur nie erreicht hätte. Mittlerweile berichtet die Presse national und international vom Eklat in Linz am Rhein. Wäre das Bild einfach nur ausgestellt worden, hätte es nicht für diese Furore gesorgt. Ein Schuss also, der nach hinten losging. Zudem stellt er erneut die Frage in den Raum, wie kann so etwas überhaupt passieren? Sind nicht gerade öffentliche Instanzen gefragt, wenn es um die Verteidigung unserer Grundrechte geht?

Fazit: Zensur erreicht das genaue Gegenteil des eigentlich damit verfolgten Zieles. Nichts macht so neugierig wie ein Verbot. Das liegt in der Natur des Menschen. Und wir sehen, Protest gegen Zensur ist eine gute und immens wichtige Sache. Und das wichtigste: Das geht uns alle an!

Eine Literatur- und Linkliste zum Thema werde ich in den nächsten Tagen noch anhängen.